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Flussmonster

MARMOLEJO 6110M

Südlichster 6000er der Erde

UNTERWEGS AM SÜDLICHSTEN 6000ER


Etwas komisch kommt es mir ja schon vor. Vor
kurzem stand ich noch mitten im Schneematsch des
süddeutschen Vorwinters, und nun einige Stunden
später schwitze ich mir in Santiago de Chile
innerhalb kürzester Zeit das T-Shirt durch. Aber so
ist das: Wenn die Bergsaison auf der südlichen
Erdhalbkugel losgeht, schlägt in good old Germany
der Winter richtig zu.
Geplant ist die Besteigung des 6110m hohen
Marmolejo. Er dient uns als Akklimatisationstour
für eine anschließende Arconcaguabesteigung. Daß
dieser Berg aber nicht nur eine Eingehtour für
höhere Ziele sein soll, sondern für sich schon allein
eine ernsthafte Unternehmung ist, wird uns später
recht schnell klar. Der Marmolejo ist der südlichste
6000er der Erde. Dennoch tummeln sich hier bei
weitem nicht die gleichen Bergsteigermassen wie
an so manch anderem Bergriesen der Andenkette.
Im Gegenteil, während unserer Tour hätten wir
gerne mal andere Gesichter um uns herum gesehen.
Südöstlich von Santiago, im Cordon San José am
Ende des Maipo-Tals, liegt der Ausgangspunkt für
die Besteigung des Marmolejo.
In mitten einer bizarren Urlandschaft, im
Gradverlauf des noch aktiven Vulkans San José,
verläuft die Grenze zwischen Chile und Argentinien
direkt über seinen Gipfel. Seit der Erstbesteigung
1928 hat sich hier allerdings nur wenig in Sachen
Bergsteigen getan. Hier trifft man noch auf eine
faszinierend wilde Berglandschaft, die nicht durch
Massentourismus geprägt und somit verschandelt
wurde. Dieses hat aber auch seinen Preis. Der über
30 km lange Zustieg über weglose Geröllhalden,
staubige Hochtäler und reißende Flüsse macht es
einem nicht gerade leicht. Uns wird der Name
Marmolejo als „far away" übersetzt. Das sollen wir
auch noch Hautnah zu spüren bekommen.
Die eigentliche Reise beginnt für uns am
Internationalen Flughafen von Santiago. Dort
angekommen werden wir zunächst erst einmal
gründlich durchsucht. Bei dieser Aktion fallen auch
gleich unsere mitgebrachten Salami- und
Schinkenvorräte der Zollbehörde zum Opfer. Es
gibt keine Diskussion, Einfuhrverbot bleibt
Einfuhrverbot. Auch wenn es aus einem Büro schon
Pizza ruft. Vakuumverpackt oder nicht die Salami
bleibt hier. Also heißt es ohne die Leckerbissen von
zu Hause einen fahrbaren Untersatz zu besorgen der
uns ins 100km entfernte Val Maipo bringt.
Das ist schneller erledigt als gedacht. Kaum sind
wir durch die Zollabsperrungen durch, werden wir
schon auf ein Taxi angesprochen. Ein Minibus
bringt uns auch noch für relativ wenig Geld direkt
zum Ausgangspunkt, dem 1980 m hoch gelegenen
Refugio Aleman.
Diese Hütte des DAV (Deutscher Anden Verein) ist
sicherlich eines der bequemsten Lager im ganzen
Talort. Hier werden wir sehr freundlich
aufgenommen. Es scheint wie eine kleine Oase in
dieser steinigen und sehr staubigen Umgebung.
Inmitten von Bäumen, Sträuchern und Blumen steht
diese Hütte. Hier ist die letzte Gelegenheit,
nochmals das ganze Material zu kontrollieren, und
alle überflüssigen Ausrüstungsteile auszusortieren.
Da ab hier alles selbst getragen wird, entwickeln
wir uns zu regelrechten Minimalsten. Für die ganze
Besteigung rechnen wir ca. 7 bis 8 Tage. Da kommt
doch schon einiges an Material zusammen. Am
nächsten Tag ist es auch schon soweit. Das erste
Stück des langen Aufstiegs ersparen wir uns durch
ein paar Dollar. Der Hüttenwart fährt uns mit
seinem Toyota noch einige Kilometer eine alte
Minenstraße hinauf, bis es dann wirklich mit der
Schinderei losgeht.
Anfangs geht es noch über einen kleinen Hirtenpfad
hinauf auf ein Hochplateau am Fuße des Vulkans
San José. Hier enden dann die letzten grünen
Flecken in der Landschaft, bevor es in weglosem
Geröll zum ersten Lager auf 3000m geht. Die
Einöde der Landschaft hat hier allerdings auch
ihren besonderen Reiz. Das Vulkangestein bringt
die unglaublichsten Formationen und Farben zum
Vorschein. Der anstrengende Weg wird zur
geologischen Erlebnisstour.
Wir beschließen, die erste und längste Etappe mit
dem gesamten Gepäck zu bewältigen, bevor wir
dann im altbewährten Transportstil, einen Teil des
Materials an einem Tag höher schaffen, um dann
am nächsten Tag wieder mit dem Rest aufzusteigen
um dort zu schlafen. Auf diese Weise werden die
Lasten nicht nur erträglicher, sondern auch die
Akklimatisation verbessert. Um so weiter es in die
Hochtäler hineingeht desto seltener werden die
Spuren anderer Bergsteiger vor uns. Ein
ungewohntes, aber sehr eindrückliches, einsames
Gefühl umschleicht einen immer mehr. Der für
Berge dieser Art typische Aufstieg durch grobes
und feines Gestein fordert oft die ganze
Konzentration und Psyche. Zwei Schritte voran
bedeuten oft einen zurück. Die Schwerkraft und der
Berg stemmen sich regelrecht gegen uns.
Da es keinerlei Kartenmaterial von dieser Gegend
zu geben scheint, suchen wir uns täglich den
bestmöglichen Weg selbst heraus.
Unser eigentliches Basislager schlagen wir auf
4200 m, am Rande des Marmolejogletschers auf.
Am vierten Tag unserer Tour erreichen wir dieses
schon recht hoch gelegene Lager. Von hier
bekommt man zum ersten Mal einen
Gesamtüberblick über die weitläufigen Täler dieser
Gebirgskette. Das Maipo-Tal und die Hütte
scheinen eine Ewigkeit entfernt. Um uns herum
ragen die Vier- und Fünftausender dieser Region
auf. Keiner dieser Berge weist besonders viele
Besteigungen auf.
Ab hier wird es wirklich steil. Die hartgefrorenen
Steinhalden wechseln sich mit großen
Büsereisfeldern ab. Die technische
Anspruchslosigkeit des Berges soll keinesfalls den
Gedanken an eine leichte Besteigung aufkommen
lassen. Hier werden die psychischen und
physischen Kräfte von jedem bis aufs äußerste
gefordert. Mit zunehmender Höhe müssen wir mit
immer tieferen Temperaturen und extremeren
Winde kämpfen.
Unser Hochlager errichten wir auf 5200m in
direktem Blick zum 1200m hohen Gipfelaufbau.
Der flach aufsteigende Gipfel läßt jeden Zweifel
über ein Scheitern verschwinden. Es sieht alles zum
Greifen nah aus. Der nächste, nun sechste Tag soll
alles entscheiden. Frühmorgens wachen wir in
eisiger Kälte im Zelt auf. Die Sterne funkeln in aller
Pracht über unserm Zelt. Mit leichtem Kopfweh
machen wir uns fertig. Die anfängliche Euphonie
über ein schnelles und einfaches Weiterkommen
wird schnell gedämpft. Die windgepressten
Schneefelder lassen uns oft bis zu den Hüften
einsinken. Die Kräfte werden regelrecht aus den
Füßen gesaugt. Aber damit nicht genug. Der Wind
wird immer stärker, und entwickelt sich zu einem
Höhensturm. Die berüchtigten Stürme dieser
Region entscheiden oft über den Gipfelerfolg. Die
kahlen, weiten Hänge bieten keinerlei Schutz. In
dieser klaren Luft erscheint die Distanz zwischen
dem Gipfel und uns nur einen Steinwurf entfernt.
Aber wir kommen nur langsam weiter.
Das Land unter uns öffnet sich immer mehr. Der
Blick wird nun nur noch durch den weit entfernten
Horizont begrenzt. Hier werden alle Mühen
belohnt. Nun sehen wir auch unser nächstes Ziel,
den 6959m hohen Arconcagua. Zu diesem
Zeitpunkt will allerdings noch keiner so recht daran
denken. Dann endlich nach einem weiteren
unscheinbaren Hügel geht es nicht mehr weiter.
Es ist geschafft. Nach sechs Tagen und unzähligen
Flüchen sind wir oben. Was für ein Gefühl.
Nach einigen Fotos treibt uns der eisige Wind aber
schon wieder hinunter. Der Abstieg fordert
nochmals alle Kräfte. Das Geröll ist zu hart
gefroren, als daß man einfach so abwärts stolpern
könnte. Eine Tortur für die Zehen. Nach einer
weiteren Nacht im Hochlager geht es dann wieder
ganz hinab, in einem Zug bis auf 2400m zum weit
entfernten, noch grüner erscheinenden Hochplateau.
Es ist immer das gleiche: Erst am Ende einer
großen Tour kann das Erlebte so richtig genossen
werden. Was man nicht alles auf sich nimmt, um
solch ein Gefühl zu erleben. Abgekämpft und müde
erreichen wir am achten Tag das Refugio Aleman,
wo wir bei einem Festessen alle Strapazen
vergessen können und den entfernten Blick zum
Marmolejo ehrfürchtig genießen. Keiner denkt
daran, daß wir schon in einigen Tagen ein höheres
Ziel anstreben wollen.
Reisetips:
Anreise: Internationaler Flughafen Santiago de
Chile. Bei längerer Anfahrt auch über Mendoza in
Argentinien möglich. Direkte Busverbindung von
Mendoza und Santiago bestehen zwei mal täglich.
Fahrpreis zwischen 40$ und 80$ je nach
Gesellschaft. Vom Internationalen Flugplatz
Santiago besteht die Möglichkeit mit dem Minibus
zum Ref. Aleman zu fahren. Preis ca. 150$ für vier
Personen inkl. Gepäck. Fahrzeit zwischen 4-6
Stunden je nach Verkehr und Fahrer.
Unterkunft:
Zeltplatz in Banos Morales oder los Valdes. Ref.
Aleman in Los Valdes, Fax: (562)2320476, Email:
Terrainc@entelchile.net Casilla 92, Cerreo 30
Vitacura, Santiago, Chile
Günstigste Jahreszeit:
Anfang Dezember bis Mitte März Ausrüstung:
Hochalpine Standartausrüstung plus extra warmer
Kleidung und Schlafsack Die Verhältnisse am Berg
sind oft stürmisch und sehr kalt. Besteigungsdauer:
Einzurechnen sind aufgrund der Höhe und des
langen Zustiegs sechs bis neun Tage bei guter
Akklimatisation.
Zusätzliche Tips:
Die technischen Schwierigkeiten sind anspruchslos.
Dennoch sollte der Berg nicht unterschätzt werden.
Der Marmolejogletscher ist spaltenlos, somit ist
kein Seil notwendig. US-Dollars sind überall
akzeptiert und willkommen. Mulis für den ersten
Streckenabschnitt sind in Los Valdes für einige
Dollar erhältlich. Kartenmaterial über die Region
ist nur schwer erhältlich. Die Infos des Hüttenwirts
auf der Ref. Aleman reichen im allgemeinen aus.
Literatur:
Eckehard Radehose, Traumberge Amerikas,
Bergverlag Rother, München, ISBN: 3-7633-3006-
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